Studientag des Adolf-Ernst-Meyer-Instituts 5. Dezember 2015 Wer war Adolf-Ernst Meyer? Aus Anlass des 90. Geburtstags von Adolf-Ernst Meyer Download der Datei Hubert Speidel Adolf-Ernst Meyer und die Entwicklung der Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland Adolf-Ernst Meyer hat sich bei einer Veranstaltung einmal als Gastarbeiter bezeichnet, und das heißt, wenn man den Vorhang dieses für ihn typischen Understatements lüftet, unter anderem, dass er in Zürich bei berühmten Lehrern wie Manfred Bleuler, Hess, Bally, Boss und anderen eine vorzügliche Ausbildung in Psychotherapie, Psychoanalyse, Neurologie, Neurochirurgie und Innerer Medizin erhalten hatte, – der Nobelpreisträger Hess war sein Doktorvater, Bally sein Lehranalytiker -, bevor er 1957 nach Hamburg kam, um in der damaligen psychoanalytischen Abteilung von Ulrich Ehebald im Allgemeinen Krankenhaus Ochsenzoll psychotherapeutische Praxiserfahrung zu erwerben. Folgt man seiner eigenen Darstellung, so erscheint es eher wie ein glücklicher Zufall, dass er uns in Hamburg erhalten blieb: Es fehlten ihm zur Facharztanerkennung noch einige Monate Innerer Medizin, und eine DFG-Stelle bei Arthur Jores bot sich an. Bei Dienstantritt am 1.Mai 1958 nahm ihn sein Partner der folgenden Zeit, ebenfalls mit einer DFG-Forschungsstelle bedacht, beiseite. Es war Detlef von Zerssen, dem durch einige Monate Erfahrung am Universitätskrankenhaus Eppendorf die Naivität schon abhanden gekommen war. In einem Café an der Alster, so wird berichtet, vermutlich bei Bobby Reich, gab er dem zwar schon durch hämische Bemerkungen anderer über den gemeinsamen Chef Arthur Jores und dessen psychosomatischer „Narretei“, wie es hieß, etwas vorbereiteten Schweizer Gastarbeiter den letzten Verhaltensschliff. Ich zitiere v. Zerssens Richtlinien im Originalton Adolf-Ernst Meyers: „1. Im Zweifelsfall fragen Sie mich. 2. Wann immer Sie etwas veranlassen, tun Sie es schriftlich und mit Kopien an Chef und alle vier Oberärzte. 3. Solange Sie eine Krankengeschichte nicht vollständig ausgewertet haben, schließen Sie sie weg. 4. Wenn ein Oberarzt Sie besonders freundlich grüßt, ist höchste Gefahr im Verzug, überlegen Sie, wo Sie verwundbar sein könnten. 5. In allen übrigen Fällen tritt Regel 1 in Kraft.“ Man muss sich die Situation damals vorstellen: Die Oberärzte von Jores hatten ihn als einen hervorragenden Endokrinologen erlebt und waren enttäuscht über die seltsame psychosomatische Liebhaberei des Chefs. Es war die Kriegsgeneration, soweit sie Rußland überlebt hatte. Einer davon, der Kardiologe Gadermann, gehörte zu den höchstdekorierten Frontoffizieren des 2. Weltkrieges; die Umgangsweisen waren dementsprechend. Von Zerssen zitiert einen von ihnen: „Lassen Sie die Finger davon, wir haben noch jeden abgeschossen!“ Ich weiß nicht, ob es jener Kriegsheld war, den ich schon als Kind bewunderte, weil er hunderte feindlicher Flugzeuge abgeschossen hatte. Seine größte Heldentat war, dass er hinter den russischen Linien landete, weil dort sein Chef Udet abgestürzt war und er ihn rettete. Gadermann war übrigens ein ausgesprochen liebenswürdiger, unintriganter Mensch. Von ihm wird überliefert, dass er ohne anzuklopfen in Adolf-Ernst Meyers Zimmer trat und sich damit entschuldigte: „Die reden doch bloß.“ In Adolf-Ernst Meyer waren sie aber an den Falschen geraten – in unserem Sinne muss man sagen, an den Richtigen. Schließlich hatte er sich schon beim schweizerischen Militär als verlachter Städter gegen die groben Bauernburschen behaupten müssen, dem Vernehmen nach sehr erfolgreich. Man kann es den hartgesottenen Joresschen Oberärzten nicht verdenken: Die Joressche Psychosomatik war eine große Pioniertat, verdienstvoll, begeisternd und mitreißend für Studenten und Anfänger wie mich, aber sie war auch naiv, und das nahmen seine erfahrenen Kämpen wohl wahr. Adolf-Ernst Meyer auch. Charakteristisch in diesem Sinne war der Forschungsauftrag an Adolf-Ernst Meyer und Detlef von Zerssen: Sie sollten sich mit dem Hirsutismus beschäftigen, von dem Jores meinte, es gäbe keine endokrinologischen Befunde, und deshalb sei es wohl eine psychosomatische Erkrankung, also im Sinne einer Psychogenie. Wie Adolf-Ernst Meyer und Detlef v. Zerssen sich nun aber dem Forschungsgegenstand näherten, das ist aus verschiedenen Gründen bemerkenswert: Sie fielen nicht auf eine psychosomatische Mythologie herein. Sie begründeten vielmehr an diesem Beispiel eine moderne, interdisziplinäre, empirische Psychosomatik, und sie waren damit wegweisend. Genauer gesagt: Sie eröffneten am Universitätskrankenhaus Eppendorf der Psychosomatik überhaupt erst eine Zukunft. Sie verschafften sich den Respekt der Kliniker, weil sie, wie es wohl etwas karikierend heißt, wussten, was Mittelwert und Streuung ist, obwohl sie sich, was von heute aus gesehen erstaunlich klingt, in die Statistik selber erst einarbeiten mussten. In der Meyerschen Darstellung lautet es so: v. Zerssen sei noch eine größere statistische Flasche gewesen als er, während v. Zerssen anerkennend feststellte, dass Adolf-Ernst Meyer in der Schule doch wohl einen sehr soliden mathematischen Unterricht gehabt haben müsse. Bevor ich in aller gebotenen Kürze die wichtigsten Forschungsprojekte Adolf-Ernst Meyers nenne, deren erstes eben das Hirsutismus-Projekt war, mit dem er sich auch habilitierte, muss ich die Beziehungen zum Psychologischen Institut nennen, die sehr wichtig wurden. Hier wirkten bedeutende Professoren: Bondy, sein Nachfolger Hofstätter, Lienert, Pavlik, Tausch, und einige von ihnen erkannten offensichtlich die herausragenden Fähigkeiten Adolf-Ernst Meyers. Lienert ermutigte ihn zum Psychologiestudium, das er 1970 mit der Promotion in Konstanz abschloss. Ich erwähne das nicht aus currikulärem Interesse, sondern weil es ein Beleg für die Einsicht Adolf-Ernst Meyers in die wichtigen methodischen Ressourcen der klinischen Psychologie war, die es zu nutzen galt. Wenn ich es richtig verstehe, entsprang diese Haltung den ersten Auseinandersetzungen im UKE und den Erfahrungen mit dem Hirsutismus-Projekt, und er hat sich daran auch durch Anfeindungen, die in dieser Hinsicht nicht aus der Klinik, sondern aus der psychoanalytischen Gemeinde kamen, nie anfechten lassen. In der Forschung war er akribisch und unerbittlich, und so wurde er einer der bedeutenden Vorkämpfer und Repräsentanten moderner psychosomatischer Medizin. In seiner Selbstdarstellung „30 Jahre Psychosomatik“ nimmt von allen Forschungsinteressen das Hirsutismus-Projekt...